Emotionen - Gefühle - Kunsttherapie

 

Wenn wir in gesunden Strukturen großgeworden sind, unsere Bedürfnisse und Gefühle als Kind Raum bekamen und unsere Bezugspersonen auf uns eingegangen sind, haben wir in der Regel gelernt, unsere Gefühle, zumindest meistens, gut einzuordnen. Wir wissen, ob wir glücklich, traurig, wütend, ängstlich oder enttäuscht sind und können das auch formulieren. Als soziales Wesen hat der Mensch zudem das Bedürfnis, sich mitzuteilen und wünscht sich, dass sein Gegenüber darauf eingeht. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Bezugspersonen uns spiegeln und wir uns dadurch „gesehen“ fühlen.

 

Leider hatten viele nicht das Glück, unter optimalen Bedingungen zu wachsen und konnten keinen gesunden Umgang mit Gefühlen lernen. Viele von uns haben vielleicht mit der Zeit gelernt, Gefühle zu unterdrücken. Gerade Gefühle wie Wut und Ärger, Eifersucht und Hilflosigkeit sind nicht besonders gesellschaftsfähig.

 

Wir haben gelernt, dass manche Gefühle im sozialen Miteinander erwünscht und andere unerwünscht sind und unerwünschte Gefühle besser mit uns selbst auszumachen.

 

Während wir fleißig daran gearbeitet haben, schwierige Gefühle vor anderen zu verbergen, sind wir vielleicht irgendwann dazu übergegangen, deren Existenz auch vor uns selbst zu leugnen. Vielleicht, weil sie nicht angenehm zu fühlen sind. Es ist eben auch nicht leicht, mit unangenehmen Gefühlen alleine zu sein.

 

Und doch gehört beides - angenehme sowie unangenehme Gefühle - zu unserem Sein. Damit wir uns lebendig und ganz fühlen können, ist es wichtig, unsere Gefühle wahrzunehmen und zu erleben.

 

Was aber, wenn wir genau das nie gelernt oder es verlernt haben? Wenn wir verunsichert, traurig oder wütend sind, ohne es selbst zu erkennen, geschweige denn uns anderen mitteilen zu können?

 

Gefühle müssen kanalisiert werden, sonst wüten sie unter der Oberfläche. Es stellt sich womöglich eine innere Leere ein. Oder es wandelt sich Wut zu Groll und dieser wird vielleicht unbemerkt an Menschen adressiert, die überhaupt nichts damit zu tun haben, nichts für diesen inneren Unfrieden können. Der Körper vergiftet durch verdrängte Gefühle wird krank und mürbe.

Wenn Worte fehlen, sprechen Bilder

 

Die Kunsttherapie kann neue Wege eröffnen, sich selbst auszudrücken. Innere Bilder können in Form und Farbe Ausdruck finden und auf diese Weise sichtbar werden. Was sichtbar ist, kann betrachtet und integriert werden.

 

Aber wie funktioniert das jetzt? Hierzu müssen wir zunächst ein wenig mehr über die Funktion von Gefühlen und Emotionen wissen. Da dieses Thema sehr umfangreich ist, werde ich versuchen es hier in diesem Artikel auf das Einfachste herunterzubrechen;

 

Der Unterschied zwischen Emotionen und Gefühlen und deren genauen, neurologischen Mechanismen sind bis heute noch nicht völlig geklärt. Jedem Gefühl, so geht man heute davon aus, liegt eine Emotion zugrunde. Eine Emotion ist eine innere Bewegtheit die mit einer körperlichen Reaktion einhergeht (z.B. Veränderung des Herzschlages, Muskeltonus, Schweißbildung etc.), die durch das Eintreffen eines Reizes (Situation) ausgelöst wird.

 

Wer also durch einen Wald spaziert und plötzlich einem Wolf gegenübersteht, bekommt eigentlich zweimal Angst — nämlich über zwei unterschiedliche Mechanismen. Der erste analysiert die Situation ungenau, aber blitzschnell. Körper und Muskulatur reagieren unmittelbar (Zusammenzucken, beschleunigter Herzschlag, etc.) um die sofortige Handlungsfähigkeit (Kampf oder Flucht) zu gewährleisten.

 

Der zweite Mechanismus ist deutlich langsamer, dafür verarbeitet dieser die Situation detailgenauer. Gedächtnisinhalte werden abgerufen und das Gehirn vergleicht die gegenwärtige Situation mit früheren Erfahrungen. Emotionen werden verarbeitet und als Gesamtbild integriert, nachdem sie in bewusste Gefühle umgewandelt wurden.

 

Was wir sicher wissen, Emotionen und Gefühle sind nicht nur im Kopf sondern im gesamten Körper verortet. Jeder kennt es; wenn Kleinkinder sich freuen, tun sie das mit ihrem ganzen Körper, sie springen auf und ab, quieken laut und strahlen wie ein Honigkuchenpferd. Wenn wir älter werden, drücken wir uns immer noch über unseren Körper aus, aber Worte spielen eine größere Rolle. Doch Sprache hat oft ihre Grenzen. Wer hat nicht schon mal sowas gesagt wie „Ich kann dir gar nicht sagen, WIE wütend mich das macht“. Auch wenn wir ein Gefühl benennen können, reichen die Worte allein oft gar nicht aus, um es stimmig in seiner Intensität ausdrücken.

 

Hier kommt nun die Kunsttherapie ins Spiel. Im kunsttherapeutischen Prozess können wir uns unverfälscht, authentisch in körperlicher Aktion ausdrücken. Während wir malen oder formen geben wir unseren Emotionen und Gefühlen ein Ventil.

 

Wir können ihnen nachspüren, sie wahrnehmen: Wo in meinem Körper sind sie verortet? Wo kann ich sie spüren? Fühle ich mich durch sie gelähmt? Oder beflügelt?

 

Sie werden sichtbar als ein Gegenüber mit dem wir in Kontakt treten können.

 

Kunsttherapie ermöglicht uns zu erkennen, was jetzt ist. Indem wir etwas ausdrücken, verdrängen wir es nicht mehr, sondern nehmen bereits an, was ist und unser Körper, unser Geist müssen nicht länger diese wahnsinnige Kraft aufbringen zu unterdrücken. Energie, die vorher gebunden war, kann wieder in Fluss kommen.

 

Der gestalterische Ausdruck schafft auf diese Weise Erleichterung und Klarheit.

 

 

Hier möchte ich dir eine praktische Übung vorstellen, die du zu Hause einmal ausprobieren kannst:

 

Such dir dafür einen Platz, an dem du dich sicher und ungestört fühlst. Du benötigst etwa eine halbe bis ganze Stunde Ruhe. Gönn‘ dir diese Zeit!

 

Du brauchst Papier, am besten ein etwas Festeres in Größe A4 oder sogar A3. Falls du das nicht hast, tut es auch Kopierpapier. Außerdem brauchst du Buntstifte, Filzstifte, Kreiden oder Wasser- oder Acrylfarben.

 

Schließe kurz die Augen, nimm ein paar tiefe Atemzüge. Atme einige Male durch die Nase ein und ganz langsam durch den Mund aus. Versuche, dich dabei ganz auf deinen Atem zu konzentrieren.

 

Höre in dich hinein. Was ist da gerade? Falls du etwas wahrnehmen kannst, ein Gefühl identifizieren kannst – prima, wenn nicht, ist auch das ok. Es kann sein, dass es dir zu Anfang schwerfällt. Es kann durchaus sein, dass du erstmal „gar nichts“ spürst. Das ist ok. Versuche dennoch eine Weile in dieser Aufmerksamkeit für dich und deinen Körper zu bleiben, schau nach innen.

 

Nach einigen Minuten, wenn du dich bereit fühlst, beginne mit deiner Gestaltung. Frage dich, welches Material spricht dich momentan an? Sind es die Stifte, die Kreiden oder die flüssigen Farben?

 

Falls du ein Gefühl wahrgenommen hast, frage dich „wenn dieses Gefühl eine Farbe, eine Form, eine Temperatur, eine Textur hätte, welche wäre das?“

 

Folge dabei deinem Bauchgefühl und deiner Intuition. Richte dich dabei nicht auf ein Ergebnis aus. Versuche nicht ein „schönes“ Bild zu malen, sondern ein authentisches.

 

Die Reflexion im Anschluss:

 

Nach deinem Gestaltungsprozess kannst du dein Werk erforschen. Hier sind einige Fragen, die du versuchen kannst, für dich zu beantworten:

 

Was ist auf deinem Bild zu sehen? Beschreibe ohne zu interpretieren. Das könnte sein: „Ich sehe eine große gelbe runde Fläche“ oder „Da ist ein Knäul aus bunten Linien“ etc.

Welche Wirkung hat das Bild auf dich?

Welche Gefühle tauchen auf, wenn du es anschaust?

Erinnert dich das Bild an etwas?

Welche Gedanken tauchen auf?

Welchen Titel würdest du ihm geben?

 

Ich hoffe, du kannst dich auf diese Übung einlassen – auch wenn es dir vielleicht zunächst schwerfällt – viel Spaß beim Ausprobieren :)